Die Arbeitsgemeinschaft Burg Waldeck vertraute mir um die Jahrtausendwende drei Jahre lang die Leitung einer einschlägigen Werkstatt an. Mein Konzept beruhte auf drei Säulen:
>Wahrnehmen (Entdeckung von »schöpferischen Quellen«, Motive
finden),
>Mitteilen (Sammeln,, Komponieren, Improvisieren),
>Singen (Bühnenpräsenz, Auftrittspraxis).
In gezielter Gruppenarbeit näherten wir uns dem Eingemachten: Atem, Puls, Rhythmus, Stimme, Körpersprache. In Einzelsitzungen wurden mitgebrachte Lieder und spezifische Stärken und Schwächen besprochen und ggf. neu bearbeitet.
Die Werkstatt dauerte mehrere Tage und bot einen geschützten Raum für 8-10 Teilnehmer/innen mit unterschiedlichen Erfahrungshorizonten. Neben der künstlerischen Selbsterfahrung und Weiterbildung sind intensiver Austausch und gegenseitiges Kennen- und Vertrauenlernen die angenehmsten Wirkungen. Am Samstagabend gab es ein gemeinsames Konzert. Wettbewerb fand nicht statt.
Nach drei Jahren versiegte die Finanzquelle dieser Waldecker Werkstattreihe. Infolge wurde ich bei Fortbildungstagungen, Festivals etc. zu eintägigen Seminaren verpflichtet. Beispiele: ein Workshop mit einer gemischten Gruppe aus ambitionierten LiedermacherInnen und »Laien« im Kulturfenster Heidelberg oder ein Studientag in Mariaberg: »Die Kraft der eigenen Musik beim Trauern und im Umgang mit Trauernden«. Die TeilnehmerInnen kamen nach Anmeldung bei einer Hospizgruppe.
Erfrischend: Gemeinsame Konzerte mit meiner Tochter Johanna Zeul.
Johanna Zeul präsentierte sich beim Konzert mit ihrem
Vater Thomas Felder als wahres Energiebündel.
WALDENBURG Liedermacher Thomas Felder und Tochter Johanna Zeul im Gleis 1
Von Juergen Koch
Folk? Blues? Liedermaching? Pop und Punk? Oder besser Rock und Grunge? Von allem
etwas und einiges mehr servierten am Mittwoch Thomas Felder und Tochter Johanna
Zeul in der Waldenburger Künstlerkneipe Gleis 1.
Während Felder zum fünften Mal Station im Bahnhof macht, ists
für Johanna eine Premiere. Und was für eine. Mal katzenpfotensamtigsanft,
mal raubtierreißzahnscharf entpuppt sie sich als wahres Energiebündel.
Doch zunächst legt Vater Felder eine gleichsam nostalgische Runde aus mehr
als 30 Jahren Liedermacherei ein. Pendelt musikalisch zwischen Blues, Folk,
Klezmer und Kirchenchoral, lässt drehleiernd Obertöne jaulen und Bordunsaiten
schnarren, bluest mit Klavier und Gitarre. Die meist schwäbischen Texte
mal witzig, mal ironisch, mal bitterbös zeichnen seine Entwicklung
nach vom klassischen Liedermacher zum Liedpoeten mit religiöser Tiefendimension.
Felder nimmt die Bahnhofsgäste mit auf eine Reise ins sinnenfrohe Land
voll Läaba, wettert gegen Heuchelei, Wasserpfennig, Militarisierung
und den liaba graußa Bruader Amerika, lässt für
alle alte Seggel wia mi seinen Sonderzug rollen und tänzelt
frohgemut ins Frühlingsblütenglühn. Hin und wieder
steigt Johanna ein, singt mit und würzt mit Akkorden und feinen Soli. Als
fetzige Fortsetzung der folkig-felderschen Liedermacherei mit anderen
Mitteln entert Strahlefrau Johanna Zeul die Bühne. Der Einfluss des Vaters
durchaus erkennbar: Akustikgitarre, einfache Akkorde, eingängige
Melodien. Dazu die Lust am lautmalerischen Sprachspiel und am mimisch-gestischen
Ganzkörpereinsatz. Alles aber ungleich fetziger, wilder, rhythmisch akzentuierter
und im leidenschaftlichen Mix aus Emotion und Musikalität auf die Spitze
getri ben. Von der Sohle bis zur Lockenmähne, von rasenden Gitarrenriffs
über hingehauchte Liebesschwüre bis zu aggressiven Wuttiraden. Johanna
macht keine Musik, Johanna ist Musik, ist Fleisch gewordener Rhythmus, Lied
gewordene Leidenschaft. Mal kindlich-naiv, mal strotzend vor Selbstbewusstsein,
mal trotzig-rotzig-frech, aber immer mit Volldampf und Spaß, traktiert
sie die Saiten, stampft, wirbelt, hüpft, haucht, röhrt, lässt
Konsonanten rrrrrollen, scattet, stöhnt orgiastisch und präsentiert
auch mal ihr teilentblößtes Hinterteil. Schlagt die Ratten
unterm Fußboden tot, animiert Johanna und das Publikum singt und
stampft, dass der Bahnhofsboden bebt. Ihre Themen kreisen immer wieder um Liebe
zwischen Lust und Frust, geißeln ironisch gebrochen Konsumterror (Nun
sauf ich mich jedes Wochenende voll, weil ich weiß, dass der Erlös
nach Afrika gehen soll) und alltägliche Zwänge (Ich fühl
mich so dressiert). Mal will sie die Nacht ein Raubtier sein,
mal sucht sie Glück in Worten (Sag was, was mein Herz glücklich
macht) und Nähe (Hey Fremder, dein Blick ist ein Kuss).
Im heftig eingeforderten Zugabenblock serviert sie eine Kostprobe aus dem Theaterstück
Max und Moritz, das 2007 am Nationaltheater Mannheim Premiere hat.
Die Musik von Johanna. Angebote für Plattenverträge liegen
in der Schublade und gerade hat sie unter 600 Teilnehmern den Rio- Reiser-Songpreis
2006 abgeräumt. Dabei wirds wohl nicht bleiben. (Hohenloher Zeitung
27. Oktober 2006)