»Mut zur Zukunft statt Blick zurück!
Das Projekt bietet einmalige Chancen für die Stadtentwicklung.
Ein solches Generationenprojekt braucht politischen Weitblick.«

Heike Baehrens, Kirchenrätin, Vorstand Diakonisches Werk zu Stuttgart 21.

Bildmontage aus drei Originalfotos einer Werbebroschüre der Deutschen Bahn AG »Das neue Herz Europas« mit weißen Kreidekonturen von Thomas Felder. Auf Seite 9 versprüht Heike Baehrens ihren Feuereifer für S21 im Namen von Kirche und Diakonie. Bis heute hat sich keine der beiden Schwesterorganisationen öffentlich davon distanziert. Ich fände es gut, wenn Frau Baehrens, der Landesbischof, die Stadtkirche und die Diakonie noch mehr Post bekommen würde.

Briefwechsel mit Kirche und Diakonie zum Thema Stuttgart 21 an folgende Adressen:

WDH.Baehrens at t-online.de
Landesbischof at elk-wue.de
diakonie at diakonie.de
vosseler at stiftskirche.de

 

9.2.10. Thomas Felder schrieb an die Diakonie:

Sehr geehrte Damen und Herren,

gestern abend besuchte ich im Stuttgarter Rathaus die Veranstaltung des Bonatz-Erben Peter Dübbers. Ich hatte das Glück, den Vortrag wenigstens im kleinen Sitzungssaal noch auf einer Videoleinwand verfolgen zu können, während mindestens tausend Menschen draußen standen und keinen Einlass mehr bekamen.
Die Montagsdemonstrationen vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof sprechen für eine überwältigende Mehrheit in Stadt und Land, die zunehmend sensibilisiert ist für die Verfehlungen unserer Politiker. Marode Banken wie LBBW werden mit Milliarden unterstützt, während sozialen Einrichtungen regelmäßig die Gelder gekürzt werden.
Der Baubeschluss Stuttgart 21 hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Die Bevölkerung kocht vor Wut und mit Recht, das sie zwar hat, aber nicht bekommt. Bleibt zu hoffen, dass die Stuttgarter Richter am 22. April es wenigstens Herrn Dübbers zusprechen. Damit könnte die Katastrophe noch abgewendet werden, die uns mit dem »Tunnelbau zu Babel« bevorsteht.
Zum ersten Mal kam mir gestern die im Rathaus ausliegende Propagandabroschüre der Bahn in die Hände, welche in Bild und Wort das Wahnsinnsprojekt schönzulügen versucht. Mit großer Verwunderung - ja Befremdung- fand ich unter den prominenten Verfechtern auch ein Bild von Heike Baehrens in Auftrag und Namen der Württembergischen Landeskirche und Diakonie.
Bitte erklären Sie mir, wie es zu einem solchen Konsens in Kirche und Diakonie kommen konnte. Wurde das Bildinserat etwa mit einer Spende erkauft? Wie steht die Diakonie heute zu Stuttgart 21?
In Erwartung Ihrer geschätzten Antwort
mit freundlichen Grüßen
Thomas Felder

 

 

12.02. Thomas Felder an den Landesbischof:


Sehr geehrter, lieber Herr Dr. July,

Ich bin in der Evangelischen Landeskirche groß geworden und bis heute verwurzelt. Zugegeben: Als Mann von der Schwäbischen Alb habe ich das Thema S21 lange verdrängt. Erst, als mich der BUND einlud, vor dreitausend Menschen auf einer Montagsdemonstration am Stuttgarter Hauptbahnhof zu singen, musste ich mich zwangsläufig damit auseinandersetzen und bin ernüchtert. Es ist beschämend für unser demokratisches Land, wenn tatsächlich durchgezogen wird, was da geplant und wider besseres Wissen kompetenter Fachleute und gegen den Willen einer breiten Bevölkerungsmehrheit beschlossen worden ist. Im Widerstand sehe ich meine menschliche und auch christliche Pflicht, wo ein gewachsenes Sozialgefüge der Immobilienmafia zum Fraß hingeworfen wird mit der Folge, dass die Verarmung der mittleren und unteren Schichten im Volk fortschreitet.
Um solches vorherzusagen, braucht es keinen Seherblick. Als langjähriger Mitarbeiter der Diakonie wissen Sie wahrscheinlich besser als ich selbst, wovon ich spreche. Um so schmerzlicher ist mir aufgestoßen, wie ich Namen und Bild von Frau Heike Baehrens als Kirchenrätin und Vorstand des Diakonischen Werks in einer weit verbreiteten Propagandabroschüre der Deutschen Bahn abgedruckt fand. Als glühende Verfechterin dieses Wahnsinnsprojekts stellt sie sich neben Lothar Späth und andere zweifelhafte Prominenz mit den Worten: »Mut zur Zukunft statt Blick zurück...« (siehe Anlage 3: bahn_stutt-ulm.pdf Seite 8/9).
Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in Kirche und Diakonie eine Mehrheit - geschweige denn einen Konsens – zu Gunsten von S21 gibt. Um so fataler wiegt der Umstand, dass genau solches in dieser Broschüre vorgegaukelt wird. Frau Baerens outet sich ja nicht als Privatperson sondern als »Kirchenrätin« - pikanterweise ohne Konfessionsbekenntnis. Ein katholischer Würdenträger hat sich offenbar nicht dafür kaufen lassen. Auf Aussenstehende wirkt ihr Statement aber wie das Votum einer allgemeinen Kirche, was den Werbeeffkt zwar verstärkt, die Tatsachen aber verschleiert.
Meine Fragen deshalb an Sie: Was kann der Landesbischof tun, dass die Evangelische Kirche in Württemberg nicht von den Wirtschaftsinteressen missbraucht wird? Sollte sie nicht eindeutig dagegen Position beziehen oder sich wenigstens demonstrativ heraushalten? Mein u.st. Brief an die Diakonie blieb bisher unbeantwortet.
Mit herzlichen Grüßen
Hochachtungsvoll
Thomas Felder

 

 

22.2.: Heike Baehrens an Thomas Felder


Sehr geehrter Herr Felder,

auf Umwegen hat mich Ihr o.g. Mail zu Stuttgart 21 erreicht. Darin werfen Sie den politisch Verantwortlichen "Verfehlungen", "Propaganda" und "schön..lügen" vor - gleichzeitig scheuen Sie sich jedoch selbst nicht vor einer bösen Unterstellung im letzten Absatz Ihres Mails.
Zu Ihrer Information stelle ich fest:
- das Recht auf freie Meinungsäußerung gilt für S 21- Befürworter und -Kritiker gleichermaßen
- die in der von Ihnen genannten Broschüre zitierte persönliche Meinung habe ich nach reiflicher Überlegung formuliert und halte sie noch immer für sachgerecht. Sie wird im übrigen von vielen in meinem persönlichen Umfeld geteilt.
- Mehrheiten kommen im demokratischen Rechtsstaat durch offene und freie Wahlen zustande. Es ist guter demokratischer Stil, mehrfach bestätigte politische Mehrheitsentscheidungen zu respektieren.
Wer wie Sie gewohnt ist, singend und sprechend mit dem Wort umzugehen, weiß die Bildunterschrift mit Berufsbezeichnung und Titel sicherlich bei gutem Willen richtig zu deuten.
Mit freundlichem Gruß
Heike Baehrens

 

 

22.2. Thomas Felder an Heike Baehrens


Liebe Frau Baehrens,

vielen Dank für Ihren Brief als Antwort auf mein Schreiben an die Diakonie. Gerne hätte ich es zuerst an Sie persönlich gerichtet, aber zum einen hatte ich Ihre Adresse nicht, zum andern handelt es sich um ein Politikum von höchster Brisanz, da Sie im Namen von Kirche und Diakonie auftreten und nicht als Privatperson. Ihre persönliche Meinung und Ihr Umfeld in Ehren! Aber als Kirchenrätin und Vorstand des Diakonischen Werks sollten Sie den Kontakt zur Basis im Auge behalten, zu den Armen und Hilfsbedürftigen, anstatt sich vor den Karren der Mächtigen spannen zu lassen. Ihre Ansichten zum demokratischen Rechtsstaat teile ich im vollen Umfang, zweifle aber daran, dass bei S21 alles mit rechten Dingen zugeht.
Was Sie in meinem Schreiben als »böse Unterstellung« interpretieren, das war nur eine schlichte Frage, die zu dieser Sache erlaubt sein sollte. Es ist bekannt, dass im Projekt S21 mit allen erdenklichen Tricks gearbeitet wird. Die Deutsche Bahn AG hat beispielsweise versucht, dem Bonatz-Erben Peter Dübbers und seinen Geschwistern ihr noch 16 Jahre bestehendes Urheberrecht auf das denkmalgeschützte Hauptbahnhof-Ensemble abzukaufen. Warum sollte man es nicht auch bei der Diakonie mit einer Geldspende versuchen? Das liegt doch nahe - und ich finde auch, dass man offen darüber sprechen muss! Man braucht auch kein Fachmann zu sein, um das Bildmaterial Ihres Prospekts als Schönlügerei zu enttarnen. Es ist einfach zu plump gemacht - Baumkronen überm Betondach zwischen Lichtaugen - Vision einer Schlossgarten-Philharmonie über Ihrem Konterfei usw.usf. Liebe Frau Baehrens - das ist Propaganda. Und wer es nötig hat, mit solchen Broschüren für eine »schöne neue Welt« zu werben, der hat Probleme mit der Realität; der lügt die Menschen an, um sie auf seine eigenen Irrwege zu locken.
Ich glaube Ihnen ja, dass Sie sich die Sache reiflich überlegt haben. Ich gestehe Ihnen auch zu, dass Ihnen und anderen gefällt, was ich persönlich und als staatlich examinierter Kunsterzieher für Geschmacksverirrung halte. Aber haben Sie sich auch bei allen Quellen informiert? Die Verantwortlichen des Projekts S21 wischen ja systematisch die seriösen Alternativkonzepte vom Tisch, bevor sie diese überhaupt zur Kenntnis nehmen. Viele von ihnen sind in Fachfragen gar nicht eingeweiht. Wussten Sie z. B., dass bereits im Jahr 1995 der ICE von München nach Stuttgart mit guter Pünktlichkeit fahrplanmäßig in 2 Stunden 1 Minute fuhr; heute sind es 2 Stunden 24 Minuten; S21 verspricht ca. 2 Std. Es gibt noch viele solcher Details, die schlichtweg verheimlicht und ausgeblendet werden, um »Mut zur Zukunft« zu machen. Bitte werfen Sie wenigstens in diesem Punkt ausnahmsweise mal einen Blick zurück. Informieren Sie sich bei gestandenen Bahn-Fachleuten wie Egon Hopfenzitz, Karl-Dieter Bodack u.a., dann werden Sie einsehen, dass ein vernünftiges Generationenprojekt um weniger als die Hälfte des Milliardenbetrags zu haben ist, den Sie da in den Boden versenken wollen.
Noch etwas Theologisches: Große Kirchenmänner - allen voraus Paulus - haben sich dadurch ausgezeichnet, dass sie in der Lage waren, umzukehren. Frauen sind heute - besonders in der Wirtschaft - oft versucht, ihre männlichen Kollegen an Betonköpfigkeit noch zu überbieten und - wenn es sein muss - sogar damit durch die Schwäbische Alb zu rammen. Ich schätze Sie als eine in sozialen und kirchlichen Fragen weit blickende Frau ein, als einen Menschen mit zartem Feingespür für die Mitwelt. Alles, was ich von Ihnen gelesen habe, spricht die Sprache der christlichen Nächstenliebe - bis auf dieses lächerliche Statement in besagtem Bahnprospekt. Hier heulen Sie mit den Wölfen, bei denen Demokratie als letztes gefragt ist. Da sind knallharte und skrupellose Wirtschaftsinteressen am Werk, clevere Schönschwätzer, die es verstehen die Leute einzuseifen - und Sie haben sich einseifen lassen. Das muss aber nicht so bleiben.
Kehren Sie um - wenden Sie sich Ihrer und unserer Sache zu - und kommende Generationen werden noch Gutes von Ihnen reden - als große Kirchenfrau!
Mit besten Wünschen
Thomas Felder

 

 

07. 08. 2010 - Offener Brief von Thomas Felder:

Betr.: »Das goldene Kalb«

Sehr geehrter, lieber Herr Dr. July,
sehr geehrte Frau Baehrens,
sehr geehrter Herr Stadtpfarrer Vosseler!


Mit großer Befremdung beobachte ich die schweigende Haltung eines großen Teils unserer Landeskirche gegenüber den verfilzten Machenschaften in Wirtschaft und Politik, wie sie derzeit vor dem glücklicherweise noch nicht geschaufelten Milliardengrab S21 zu Tage treten. Fast habe ich den Eindruck, die Kirche mag am liebsten noch mit tanzen um das goldene Kalb, abseits von ihrem durch Mose und Christus gesetzten Auftrag.
Ein goldenes Kalb hat sich die LBBW als Symbol aufs Banner gemalt. Es prangt von dem seelenlosen Hochhaus-Komplex am Nordflügel des Hauptbahnhofs. Eigentlich wäre diese Bank im letzten Jahr pleite gewesen. Aber sie wurde mit unseren Steuergeldern künstlich "wiederbelebt", damit die Aktionäre weiterhin ihre Dividenden kriegen.
Das wahre Leben spielt sich seit Ende letzten Jahres jeden Montagabend unter diesem Banner ab. Gott sei Dank scheren sich die Menschen nicht darum, nehmen kaum Notiz davon. Sie kämpfen um den Erhalt eines Kulturdenkmals und der grünen Lunge in unserer Landeshauptstadt. Sie stehen auf für Transparenz und bürgerliche Mitbestimmung, wenn einschneidende Veränderungen geplant werden. S21 wäre ein Stich ins pulsierende Herz unseres Landes. Wer das Herz Europas will, legt nicht seine Lunge still!
Ich möchte Sie einladen am kommenden Montag 18 Uhr unter besagtes Kalb zu kommen. Man muss es erlebt haben - es sind schließlich Ihre Leute. Es ist Ihre Gemeinde, die sich da versammelt. Schauen Sie in die Gesichter der Menschen. Das sind keine Chaoten, keine Scharfmacher. Es sind die Repräsentanten einer überwältigenden Mehrheit im ganzen Land. Hinter jedem Demonstranten Hunderte Sympathisanten!
Treten Sie ein für das Überdenken des aufgeblasenen Milliardenprojekts S21, das an den Bürgern vorbeigemogelt wurde, bis es schließlich zum Volksaufstand kommen musste. Es gibt wahrhaftig bessere Alternativen zu einem Bruchteil der bereits jetzt verschwendeten Unsummen (siehe Anhang)!
Ich freue mich über Ihre Antwort auf meine Post. Der Briefverkehr "Stuttgart 21 und Kirche" wird viel gelesen und angeregt diskutiert. Reden und Schreiben ist Silber, Schweigen ist Gold - wie das Kalb unserer Landesbank.

Mit freundlichen Grüßen
Thomas Felder

 

 

10. 08. 2010 schrieb Stiftspfarrer Vosseler:

Lieber Herr Felder,
weil Reden und Schreiben Silber ist, schreibe ich Ihnen zurück.
Ich teile mit Ihnen die große Sorge um das Klima in dieser Stadt (in jeder Hinsicht). Und auch ich nutze alle Möglichkeiten, um miteinander zu reden, auch mit den Schaltstellen, die die Entscheidungen treffen. Da wird kirchlicherseits weit mehr gemacht, als Sie denken, auch mehr als öffentlich an die große Glocke gehängt wird,
etwa ganz aktuell in der Diskussion um ein Moratorium, das ich für sinnvoll halten würde.
Den Demonstrationen kann ich je länger je weniger abgewinnen, da sich ernste Sorgen und berechtigte Argumente zunehmend mit unreflektierter Agitation vermischen. Als Pfarrer ist die Aufgabe, differenziert denken zu können und nicht nur in bloßen Schwarz-Weiß-Schemata oder Halbwahrheiten. S21 ist zunehmend ein Glaubenskrieg, und davor hat Kirche, aufgrund ihrer eigenen Geschichte, eindringlich zu warnen. Es müssen Wege jenseits der Gräben gefunden werden, jenseits von Scheibchenweise zugeben wie es die Bahn tut, und jenseits von Pauschalverurteilungen wie es die Demonstranten machen andererseits. Wer demokratische Instanzen einfach zu Mafia-Organisationen erklärt, wird es schwer haben, ernsthaft gehört zu werden.
Deshalb führen diese Wege nicht weiter. Ein erneutes Zusammensetzen aller Beteiligten (einschließlich der Bürger), wie er etwa im Stuttgarter Appell gefordert wird, hat mehr Aussicht auf Erfolg. Daraufhin werden meine Bemühungen gehen, weil mir Weitblick und Friedensverantwortung sehr am Herzen, und ich täglich darauf viel Energie verwende, das können sie mir glauben. Und das ist etwas grundsätzlich anderes als der Tanz um das Goldene Kalb !!!
Genug des Silbers, herzliche Grüße
Matthias Vosseler
Pfarramt Stiftskirche
Werastraße 12
70182 Stuttgart

 

 

10. 08. 2010 Thomas Felder an Pfr. Vosseler

Lieber Herr Pfarrer Vosseler,


vielen Dank für Ihr »Silber« das nun doch deutlich anders klingt, als Ihre Einlassungen vom Februar, in denen Sie das Projekt S21 noch »mit kritischer Sympathie« begleitet haben. Damit kurbelten Sie als Pastor die Bahnschranken herunter, um die Ihnen anvertraute Herde nicht ins Gleisfeld von S21 tappen zu lassen. Dem Zug S21 stellten Sie das grüne Signal hoch für die Durchfahrt.
Wären alle Schafe mit Ihnen als kritische Zuschauer hinter der Schranke geblieben, so hätten wir jetzt das Desaster: Abriss der beiden Seitenflügel des Kulturdenkmals Stuttgart Hauptbahnhof, Verwüstung des Schlossgartens, der grünen Lunge unserer Landeshauptstadt mit verheerenden Folgen für Wasser- und Luftqualität - ganz abgesehen vom sozialen Klima der Stadt und dem Schuldenberg für kommende Generationen. Gott sei Dank gab es genug schwarze Schafe, die Ihrem Beispiel nicht folgten sondern sich dem Zug in den Weg stellten.
Es ist höchste Eisenbahn, dass Sie jetzt handeln und mit dem Personal sprechen, damit das Signal wieder auf Rot herunterkommt und das Monstrum angehalten wird. Noch hat es die volle Fahrt nicht erreicht. Kämpfen Sie für ein Moratorium und bitten Sie Landesbischof July um seine Mitsprache. Selbstverständlich erwarte ich nicht von Ihnen als Pfarrer, dass Sie bestimmte Regierungsvertreter als Mafiabande bezeichnen, so wie ich als freier Künstler das tun muss, wenn es stimmt. Sie haben die ehrenvolle Aufgabe zwischen beiden Seiten zu vermitteln um der vielen Bürger willen, die letztlich bürgen für alles was ihnen die gewählten Vertreter da einbrocken.
Im Übrigen: Jeder Verbrecker genießt meine volle Hochachtung, wenn er Abstand nimmt von seinen Untaten und Reue zeigt. Auch einer Wolfs-Gang Schuster/Drexler und Co zolle ich meinen hohen Respekt, wenn sie sich mit den Hirten an einen Tisch setzt.
Ich wünsche Ihnen den richtigen Ton und Gottes Beistand bei den Gesprächen, die hoffentlich bald stattfinden.
Mit herzlichem Gruß

Thomas Felder

 

 

23.8.10. Landesbischof i.V. an Thomas Felder:

Sehr geehrter Herr Felder,

Landesbischof Dr. h.c. July lässt Ihnen herzlich danken für Ihre Mail vom 07. August, die über die Urlaubszeit bei uns leider ein wenig liegen geblieben ist. Bitte entschuldigen Sie die Verzögerung!
Er hat mich gebeten, Ihnen zu antworten, und dankt Ihnen zunächst einmal ganz allgemein für Ihr bürgerliches Engagement.

Nun ist es so, dass zum Thema Stuttgart 21 jeder Mensch, auch jede Pfarrerin und jeder Pfarrer, eine persönliche Meinung haben und zum Ausdruck bringen darf. Die Landeskirche aber, für die der Landesbischof spricht, wird vorderhand keine Stellung beziehen. Stuttgart 21 ist ja keine Bekenntnisfrage. Sondern Stuttgart 21 ist das Ergebnis einer politischen Entscheidung, die lange zurück liegt und inzwischen immer wieder neu bedacht und besprochen worden ist - auch im Zusammenhang mit einigen Wahlen in Stadt und Land. Die Entscheidungen für Stuttgart 21 sind so, wie sie jetzt vorliegen, demokratisch legitimierte Entscheidungen. Es gehört zu den Grundlagen unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft, in der eine freie Meinungsäußerung zu den Grundrechten gehört, gegen solche Entscheidungen Bündnisse zu schließen, zu demonstrieren oder gewaltfreien Widerstand zu leisten.
Aber es gilt auch: Stuttgart ist eine Stadtgemeinschaft, und zu einer solchen Gemeinschaft gehört ein demokratischer Diskurs. Die Landeskirche würde Öl ins Feuer gießen, wenn sie sich in diesem Diskurs auf die eine oder andere Seite schlagen würde.

Es liegt nicht in der Kompetenz der Kirche, sich zu einer verkehrspolitischen Entscheidung für die Landeshauptstadt und die Region Stuttgart inhaltlich zu äußern, und es liegt auch nicht in ihrer Kompetenz, juristische Stellungnahmen abzugeben. Die kirchliche Kompetenz ist eine ethische Kompetenz, die mit der Würde des Menschen zu tun hat. Diese Menschenwürde ist durch Stuttgart 21 nicht berührt. Schöpfungstheologische Aspekte spielen eine Rolle, werden aber von beiden Seiten auf unterschiedliche Weise ins Feld geführt.
Die Aufgabe der Kirche ist, sich dafür einzusetzen, dass weder Befürworter noch Gegner von S 21 verteufelt und ihrer Würde beraubt werden. Die Aufgabe der Kirche ist auch, die Vorgänge um S 21 sehr genau zu beobachten und dabei mäßigend und moderierend einzuwirken, damit die Gräben innerhalb der Bürgerschaft in Stuttgart sich nicht weiter vertiefen.

Daher bitte ich Sie um Ihr Verständnis, dass auch der Landesbischof innerhalb der Zerreißprobe, von der Sie sprechen, die Gräben nicht weiter vertiefen wird.

Mit freundlichen Grüßen
Veronika Bohnet


Kirchenrätin Veronika Bohnet
Theologische Assistentin des Landesbischofs

Gänsheidestraße 4
70184 Stuttgart
Telefon: 0711 2149-386
Telefax : 0711 2149-470
Veronika.Bohnet@elk-wue.de
www.elk-wue.de

 

 

30.08.10 Thomas Felder an den Landesbischof


Sehr geehrter, lieber Herr Landesbischof Dr. July,


besten Dank für Ihre Antwort auf meinen offenen Brief zum »Goldenen Kalb« der LBBW und S21, den ich auch an Frau Heike Baehrens und an Stadtpfarrer Vosseler gerichtet hatte. Letzterer entschied sich wie Sie in Vertretung von Frau Bohnet für »Silber« und somit für den Dialog. Frau Baehrens scheint das »Gold« zu bevorzugen - sie hüllt sich in Schweigen. Immerhin wurde inzwischen das peinliche Symbol am Palast der LBBW entfernt - eine Antwort von oben herab?
Ihre Dienst-Auffassung, die Auseinandersetzung in demokratischen Prozessen nicht einseitig beeinflussen zu wollen, schätze ich sehr. Das Projekt S21 allerdings wurde in einer Art und Weise durchgemogelt, die sämtliche demokratischen Spielregeln mit Füßen tritt. Eine überschaubare Clique gewählter »Volksvertreter« hat diese Bezeichnung im schwäbischen Sinne wörtlich genommen und das Volk bis zur Schmerzgrenze »vrträdda«, bis zum Aufstand gegen die so genannte Wolfs-Gang Schuster-Drexler und Co. Mit welch krimineller Energie hier unser Volksvermögen verschachert, in welch unverantwortlicher Weise in der Bauplanung Leib und Leben der Menschen aufs Spiel gesetzt wird, kommt - Gott sei Dank - über die Medien langsam und scheibchenweise ans Licht, doch man sieht erst die Spitze vom Eisberg.
Am 25. August 1940 erfolgte der erste von 53 Luftangriffen auf Stuttgart. Die Alliierten bemühten sich aus Respekt vor den deutschen Kulturleistungen die wertvollsten Gebäude der Stadt weitgehend zu verschonen, darunter auch den Hauptbahnhof. Er steht auf der Anwärterliste zum Weltkulturerbe - fast auf Augenhöhe mit den ägyptischen Pyramiden. Den 70. Jahrestag dieses Infernos haben sich der Oberbürgermeister und sein »Projektsprecher« ausgesucht, um den Abrissbagger auf das denkmalgeschützte Wahrzeichen unserer Landeshauptstadt anzusetzen. Welch ein Zynismus!
Stillschweigen ist die wirksamste Art mit den Wölfen zu heulen, besonders, wenn man ein pastorales Amt inne hat. Frau Baehrens hat sich nach meiner Einlassung (siehe Anlage) nun auch darauf verlegt. Mit ihrer Werbung im Namen von Kirche und Diakonie hat sie aber zu dem Desaster beigetragen, und weder Kirche noch Diakonie hat sich bis heute vom Tun ihrer Vorstandsvorsitzenden distanziert. Herr Vosseler möchte mit »kritischer Sympathie« für S21 »hinter den Kulissen« die »unreflektierte Agitation« der Demonstranten in diesem »Glaubenskrieg« eindämmen. Welch schaurig-traurige Positionen von Protestanten angesichts der fatalen Situation!
Lieber Herr Dr. July, wie lange wollen Sie noch warten?
Wollen Sie zuschauen, wie der schon jetzt entstandene Schaden zu einem Flächenbrand ausufert?
Bitte rufen Sie in einem Hirtenbrief öffentlich und unüberhörbar zu einem Moratorium auf, zum Stillstand des Vandalismus am Kulturerbe Stuttgarter Hauptbahnhof, zur Rettung des Naturerbes Stuttgarter Schlossgarten, zum sozialen Frieden im Württemberger Land. Dies sind Sie Ihrer großen protestantischen Gemeinde und den kommenden Generationen schuldig. Daran werden Sie später gemessen!


Mit herzlichem Gruß
Thomas Felder

 

 

04.09.10 Thomas Felder an den Landesbischof:

Morgenglanz der Ewigkeit,
Licht vom unerschöpften Lichte,
Schick uns diese Morgenzeit
Deine Strahlen zu Gesichte
Und vertreib durch Deine Macht
Unsre Nacht.

Sehr geehrter, lieber Herr Dr. July,


Ihre Kirchenrätin, Frau Veronika Bohnet, hat dankenswerter Weise - sicherlich in Abstimmung mit Ihnen - meinen offenen Brief an Sie beantwortet. Ihr Schreiben wiederholt streckenweise die Stereotypen der Herren Mappus, Schuster, Drexler, Grube und Co. Sie alle beschwören die lange zurück liegenden, demokratisch legitimierten Entscheidungen, welche das Projekt S21 in Gang gebracht haben. Wenn Sie Ihre selbst gestellte Aufgabe tatsächlich wahrnehmen und die Vorgänge um S21 wirklich genau beobachten, dann dürfte Ihnen auch nicht entgangen sein, dass die massgeblichen Entscheidungsträger systematisch getäuscht wurden, um die gewünschten Ergebnisse durch die Instanzen zu bringen. Die meisten von ihnen konnten überhaupt nicht wissen wofür sie da eigentlich gestimmt haben, mögen aber verständlicher Weise nicht zugeben, dass sie übers Ohr gehauen wurden.

Wie es bereits vor 13 Jahren im Stuttgarter Rathaus in Punkto »Bürgebeteiligung« zugegangen ist, sehen Sie in einem Dokumentarfilm unter www.fluegel.tv (unterhalb des aktuellen Standbilds der webcam im Text anzuklicken). Neben dem jungen Oberbürgermeister Wolfgang Schuster sehen Sie Herrn Prof. Dr. Richard Reschl als »Moderator«. Vom großen Interesse der Bürger ist er »überrascht« und verweist diese ohne Umschweife sofort und unmissverständlich in die Zuschauerrolle. Herr Reschl betreut die LBBW-Immobilien. Dies ist nur eines von unzähligen Beispielen der Verfilzung von Politik und Wirtschaft, die das Licht der Öffentlichkeit scheut wie der Teufel das Weihwasser.

Ob - und wie weit die Landeskirche in solche Machenschaften verstrickt ist, kann und mag ich nicht beurteilen. Herr Vosseler betont ja, dass »hinter den Kulissen« schwer gearbeitet wird. Vor den Kulissen jedenfalls steht immer noch Frau Heike Baehrens, die im Namen von Kirche und Diakonie kostenlos Reklame macht für S21. In der Bahnbroschüre »Das neue Herz Europas« stellt sie sich mit all ihren aktuellen Amtstiteln als »Kirchenrätin und Vorstand Diakonisches Werk« hinter den bestechlichen »Ministerpräsidenten a. D.« Lothar Späth, der seinen langjährigen und aktuellen Posten als Aufsichtsratsvorsitzender der Tunnelbohrer A.G. Herrenknecht tunlichst verschweigt. Wer sich so aus dem Kirchenfenster lehnt, handelt nicht mehr als Privatperson. Solange Sie als oberster Kirchenvertreter dazu nicht öffentlich Stellung beziehen, bleibt Ihre angebliche Neutralität unglaubwürdig. Frau Baehrens hat mich ja besucht, um den Verdacht der Käuflichkeit auszuräumen. Sie schilderte mir, wie sie in diese Sache hineingeschlittert ist, und dass sie keine Ahnung davon hatte, welche Lawine ihr Auftritt auslösen würde. Ich bin sicher, auch ihr wurden wichtige Fakten vorenthalten, die heute vor aller Augen stehen. Sie täte gut daran, das endlich zuzugeben, und sie würde großen Respekt dafür ernten.

Lieber Herr Dr. July, meinem heutigen Brief habe ich einen wunderbaren Liedvers von Christian Knorr von Rosenroth (nach Martin Opitz) aus dem 17. Jahrhundert vorangestellt. Leider wurde er im neuen Gesangbuch wie so viele Originaltexte entstellt. Das Licht hat Gott für uns erschaffen, damit wir sehen können. Es ist und bleibt ein unerschöpftes Licht, auch wenn es neukirchliche Schlaumeier zum unerschaffnen Lichte umschreiben. Bitte sorgen Sie dafür, dass dieser Schnitzer in der nächsten Auflage wieder ausgebügelt wird.

Die Stuttgarter Bürgerbewegung, die inzwischen das ganze Land erfasst hat, erlebe ich als einen von Gott geschickten Morgenglanz im dem Tunneltrauma, das uns ein paar finstere Gestalten immer noch als »demokratisch legitimiert« verkaufen möchten. Die Kirche sollte endlich »recht aufstehn«, wie es bei Knorr weiter heißt, und zeigen wo sie wirklich steht. Spät - aber nicht zu Späth!

Gib, daß Deiner Liebe Glut
Unsre kalten Werke töte,
Und erweck uns Herz und Mut
Bei entstandner Morgenröte,
Daß wir eh wir gar vergehn,
Recht aufstehn.

Mit herzlichen Grüßen
Ihr Thomas Felder

Anmerkung zu »Morgenglanz«: Mit dem unerschöpften Licht meint der Dichter wohl tatsächlich das unerschaffene. Dies erfuhr ich inzwischen vom Chefredakteur des Gesangbuchs, Bernhard Leube auf persönliche Nachfrage. Mein Schreiben wurde vom Landesbischof bis heute nicht bearbeitet.

 

 

05.09.10 Offener Brief von Frau Pfarrerin Guntrun Müller-Enßlin :


Stuttgart 21 – Kann die Kirche unparteiisch bleiben?


An die Kolleginnen und Kollegen, an die Kirchenleitung und alle, die sich angesprochen fühlen.
Man kann sich bestimmte Entwicklungen lange Zeit mit mehr oder weniger Geduld anschauen. Irgendwann kommt der Punkt, an dem das Maß voll ist. Dieser Punkt ist bei mir derzeit erreicht, wenn ich auf die Rolle der Evangelischen Kirche in Sachen Stuttgart 21 blicke, darauf, was sie tut, bzw. was sie nicht tut.
Als eine, die einmal Theologie studiert hat und Pfarrerin der Landeskirche geworden ist, in der Hoffnung, damit in einer Institution zu arbeiten, die in einer gnadenlosen Wettbewerbsgesellschaft ein Gegengewicht der Menschlichkeit bildet, bleiben einem gegenwärtig nur noch Trauer und Scham darüber, dieser Institution anzugehören.
Was ist das für ein klägliches Bild, das die Kirche derzeit nach außen abgibt, wenn sie hartnäckig –oder ängstlich? – darauf beharrt, sich nicht einmischen zu wollen angesichts eines Projekts mit mittlerweile allseits bekannten und absehbar katastrophalen sozialen und ökologischen Folgen! Als Institution von immer noch bedeutendem gesellschaftlichem Ansehen räumt sie damit freiwillig den Platz als ethisches Korrektiv, das ihr von der Mehrheit unserer Gesellschaft ganz selbstverständlich zugestanden wird!
Seit Monaten zieht sich die Kirche in Sachen S21 auf diese unsägliche Raushalte-Position zurück, mit fragwürdigen Argumenten, die den zahllosen im Widerstand gegen S21 engagierten Christen und Kirchenmitgliedern weder verständlich noch vermittelbar sind.
Da geht es auf einer formalen Ebene um Dienstwege, bzw. um das, was man als InhaberIn eines kirchlichen Amtes darf oder nicht darf, was richtig oder falsch ist, anstatt darum, sich beizeiten umfassend mit dem Thema und seinen Inhalten zu beschäftigen, um dann zu erkennen, welcher Gruppierung in unserer Gesellschaft man als Kirche stärkend zur Seite stehen muss.
Ich frage mich wirklich, warum ich auf Seiten der S21-Gegner als Pfarrerin ganz alleine dastehe. Wenn es heißt, Kirche dürfe nicht Partei ergreifen sondern müsse für alle da sein, ist zu sagen, dass ihr das, indem sie sich raushält und schweigt, jedenfalls bestimmt nicht gelingt. Indem Kirche keine Stellung bezieht, steht sie immer auf der Seite der Macht und des herrschenden Status Quo und macht sich zu deren Handlanger, was ihr von intellektueller Seite seit eh und je zum Vorwurf gemacht wird.
Der Meinung, Religion sei Privatsache, sei entgegengehalten, dass Religion seit jeher eine ethische Komponente besitzt, die das Gemeinwohl betrifft. Im Fall von Stuttgart 21 sind mit der Verschiebung von Milliarden von Steuergeldern von unten nach oben sowie mit dem Kahlschlag hunderter alter Bäume höchst offensichtlich ethische Themen berührt und Grundwerte in Gefahr. Sich hier herauszuhalten, gar nobel eine Vermittlerrolle in Aussicht zu stellen, wenn sich die Parteien ordentlich gezofft haben, halte ich geradezu für zynisch. Die einzige adäquate Haltung wäre stattdessen, mit Zivilcourage auf der Seite derer zu streiten, die ganz offensichtlich den Schaden haben.
Wie gesagt, die Zurückhaltung der Kirche ist schwer nachzuvollziehen und noch schwerer auszuhalten. Vollends unerträglich wird es, wenn nun auch noch ausgerechnet ein Pfarrer sich für eine Pro Stuttgart 21 –Bewegung stark macht und sich auf dem Podium der FAZ als Opfer militanter und intoleranter S21-Gegner feiern lässt. Offenbar ist sich über die Ruf schädigende Wirkung dieser Aktivitäten für die Kirche niemand im Klaren. Es ist einfach nicht zu glauben, dass sich nicht einmal jetzt auf breiter Front Widerstand bei Kirchenvertretern regt, sich niemand distanziert und niemand sagt, der spricht nicht für uns.
Stattdessen sehe ich mich als die einzige Pfarrerin, die sich öffentlich gegen S21 exponiert hat, in der grotesken Lage, als Gegenspielerin jenes Pfarrers in den Zirkusring der Öffentlichkeit, auch den der Fernsehmedien, steigen zu sollen. Mit diesem Befürworter kloppe ich mich dann stellvertretend für die Kirche, die sich vornehm zurückhält und muss außerdem noch damit rechnen, dass von erhabener Stelle der Zeigefinger erhoben wird.
Mich würde mal interessieren, wieweit meine Kollegenschaft sich noch traut, unabhängig von der Obrigkeit eindeutig und öffentlich sozialpolitisch Position zu beziehen. Wenn sich große Bevölkerungsgruppen gegen einbetonierte Machtpositionen zur Wehr setzen, kann sich die Kirche nicht unparteiisch geben. Es geht darum, entsprechende Machtträger in der Gesellschaft zur Besinnung und zur Reflektion zu bringen. Ich bin gespannt auf Reaktionen oder auch Nicht-Reaktionen.


Guntrun Müller-Enßlin
Pfarrerin

 

 

05.09.10 Pfarrer Albrecht Esche M. A. (langjähriger Studienleiter in Bad Boll)

an den Landesbischof
Herrn Frank Otfried July
Ev. Oberkirchenrat
70184 Stuttgart

Stuttgart 21 oder „Suchet der Stadt Bestes“
Offener Brief

Sehr geehrter Herr Landesbischof, lieber Herr July,
Thomas Felder, der mit mir befreundete Reutlinger Liedermacher, zeigte mir den Schriftwechsel, den er mit Ihnen, bzw. Frau Bohnet, geführt hatte. Auch meine Frau und ich gehören zu den Demonstranten und engagierten Gegnern des Projekts Stuttgart 21, wobei ich jetzt gewiss nicht unsere Gründe darlegen möchte. Nur meinen Wunsch ausdrücken nach einer Kirche, die sich ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung bewusst ist.
Wenn Jeremia schreibt „Suchet der Stadt Bestes“ und die Kirchenleitung diesen prophetischen Aufruf ernst nimmt, dann müsste sie ihre Rolle zum mindesten darin sehen, den tiefen Riss, der durch die Stadt und ihr Rathaus, aber auch durch das Land und seine Politiker geht, wahrzunehmen und entsprechend zu handeln.
Wäre es nicht das Gebot der Stunde, sich dabei als Mediator anzubieten, als Friedensstifter, als ehrlicher Makler, der nicht nur die tiefen Gräben zu überbrücken versucht, sondern auch nach Lösungen sucht, die einen gemeinsamen, einen neuen Weg ermöglichen? Wenn der Landesbischof zu einem solchen Dialog aufgefordert und eingeladen hätte, dann wäre dies ein Zeichen gewesen, das sicherlich weit im Land Beachtung gefunden hätte.
Oder muss ich die Zurückhaltung der Landeskirche im Kontext mit einer Emigration in die Innerlichkeit sowie mit der zunehmenden Einengung der gesellschaftspolitischen Akademiearbeit in Bad Boll verstehen, die über finanzielle Auflagen bis zur Unkenntlichkeit und Unwirksamkeit zusammengestrichen werden soll? Wie sollen dort angesichts von einschneidenden Stellenkürzungen weiterhin kontroverse Themen von öffentlichem Belang diskursiv und vielfältig zur Sprache gebracht werden?
„Suchet der Stadt Bestes!“ - das ist für mich ein bleibender kirchlicher wie persönlicher Auftrag.

Herzliche Grüße
Ihr Albrecht Esche

 

 

14.9.10 Thomas Felder an das Evangelische Gemeindeblatt

Sehr geehrte, liebe Frau Ziegler,

gestatten Sie mir als Betroffener einen Leserbrief zu Ihrem Leitartikel »Kein Wort zu Stuttgart 21«, auch wenn dies im Evangelischen Gemeindeblatt vielleicht nicht üblich ist:
Sie zitieren meine »emotionalen« offenen Briefe, erwähnen aber in keinem Satz den Hintergrund, vor dem es zu der Briefschwemme an die Kirche, die Diakonie und den Landesbischof gekommen ist: Es war die Werbebroschüre der Deutschen Bahn AG »Das neue Herz Europas«, in der sich Frau Heike Baehrens im Namen von Kirche und Diakonie lautstark zu Wort meldet und ein feuriges Bekenntnis für S21 abgibt - gleich hinter Lothar Späth (siehe Anlage1). Wer sich so aus dem Kirchenfenster lehnt, handelt nicht als Privatperson!
Bis heute kehrt man diesen Skandal unter den Teppich und beschwichtigt die Schreiber mit unglaubwürdigen Stereotypen, die klingen, als hätte sie Stefan Mappus persönlich diktiert. Mit Ihrem Ver-Schweigen schüren Sie und andere Kirchenorgane - vielleicht unbewusst - weiter den Verdacht, dass die evangelische Landeskirche »hinter den Kulissen« weit mehr verbandelt ist mit den Machern von S21, als man zu ahnen gewagt hat. Bei solch einer brisanten Sachlage noch von »Neutralität« zu sprechen ist lächerlich.
Es mag Zufall sein - aber nach Bekanntwerden meiner Briefe und der Bildcollage »BaehrenS21« (Anlage2) wurde die Bahnbroschüre »Das neue Herz Europas« sofort aus dem Verkehr gezogen. Ebenso verschwand das »Goldene Kalb« von der Frontfassade der LBBW, nachdem ich in Briefen darauf aufmerksam gemacht hatte.
Bitte geben Sie in der nächsten Ausgabe des Gemeindeblatts der Diakonie-Vorsitzenden und Kirchenrätin Frau Baehrens Gelegenheit zu erklären, wie sie in diese Sache hineingeschlittert ist. Mir persönlich hat sie bei ihrem Besuch schon ein paar Andeutungen gemacht. Es ist höchste Eisenbahn, endlich auch vor den Kulissen reinen Tisch zu machen. Tragen Sie dazu bei, dass Menschen, die auf ein Lügengebäude hereingefallen sind, ohne Gesichtsverlust in Würde davon Abstand nehmen können. In solcher Geste zeigt sich paulinische und protestantische Kultur!


Mit herzlichen Grüßen
Thomas Felder

 

17.9.10 Redaktion Evangelisches Gemeindeblatt an Thomas Felder:

Sehr geehrte Herr Felder,
ich habe sowohl versucht, von Frau Baehrens eine Stellungnahme zu bekommen, als auch den Prospekt einzusehen, den Sie auf Ihrer Homepage nennen. Frau Baehrens äußert sich nicht (mehr) zum Thema Stuttgart 21 öffentlich. Die Gründe hat Sie Ihnen selbst gesagt. Es ist ihr klar, dass sie bei eventuellen Äußerungen sofort mit der Diakonie in Verbindung gebracht wird. Gleichwohl ist sie als Heike Baehrens für S 21. Zu diesem Thema gibt es eine Stellungnahme der Diakonie Württemberg, die Sie vermutlich auch kennen. Einen Auszug daraus:
"Die Diakonie hat als Verband zu Stuttgart 21 nie eine Stellungnahme abgegeben. Wir sind informiert, dass Frau Heike Baehrens als Privatperson eine klare Einstellung zu dem Projekt hat und dieses befürwortet. Dies hat sie auch in dem Prospekt geäußert - als Privatperson. Frau Baehrens bedauert, dass durch die Nennung ihres Titels und ihrer Funktionsbezeichnung der Eindruck entstehen konnte, als habe sie für Kirche oder Diakonie Stellung genommen. Das war nicht beabsichtigt. Sie hat deshalb auch darauf gedrängt, dass ihre Amtsbezeichnungen im Prospekt und im Internet nicht mehr erscheinen. Frau Baehrens war es sehr wichtig, weil sie eben den Eindruck vermeiden will, dass sie als Diakonie und nicht als Privatperson hier Stellung bezieht."
Darüberhinaus gibt es keine Äußerungen. Sogar bei der Projektstelle Stuttgart 21 gibt es den Prospekt nicht mehr (der im übrigen nicht neu ist, sondern schon vor zwei oder gar drei Jahren gedruckt wurde). Auch elektronisch ist der Prospekt nicht mehr zu beziehen oder downzuloaden. Über was also hätte ich berichten sollen?
Es gilt - zumindest bis heute nachmittag -, dass sich weder die württembergische Kirchenleitung noch das Diakonische Werk Württemberg zu Stuttgart 21 positiv oder negativ äußern. Genau darüber habe ich berichtet.
Es grüßt Sie freundlich
Petra Ziegler
Evangelisches Gemeindeblatt für Württemberg

 

18.9.10 Thomas Felder an das Evangelische Gemeindeblatt:

Sehr geehrte Frau Ziegler,
wie Sie richtig recherchiert haben, versuchte die Deutsche Bahn AG, das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart über mehrere Jahre mit besagter Propaganda-Broschüre Herzen für ihr kaltblütiges Projekt zu gewinnen. Bis Februar diesen Jahres lag der Prospekt noch massenhaft in Zügen, Bahnhöfen und vielen öffentlichen Gebäuden des Landes aus. Im Stuttgarter Rathaus fand ich einen hohen Stapel davon. Sollten Sie tatsächlich nicht wissen wovon die Rede ist, schauen Sie bitte in die anliegende PDF-Datei.
All die Jahre hat es Frau Baehrens nicht für nötig gehalten, die Neuauflagen korrigieren zu lassen, obwohl ihr nach eigenen Angaben immer wieder Protestbriefe ins Haus flatterten, die sie auf den Skandal aufmerksam machten - zwei dieser »ProtestantInnen« haben sich übrigens auch bei mir gemeldet, seit mein Briefwechsel im Internet steht. Meine Anfrage bei der Diakonie, ob die Sache etwa mit einer Spende zu tun habe, wurde von Frau Baehrens als »böse Unterstellung« abgekanzelt.
Erst, als meine Bildcollage »BaehrenS21« sich wie ein Lauffeuer verbreitete, wurde ihr der Ernst ihrer Lage bewusst, und sie besuchte mich zur Schadensbegrenzung in meinem Haus. Wie peinlich die ganze Angelegenheit ist, zeigt die von Ihnen selbst beschriebene weitere Geschichte der Broschüre: Es gibt sie nicht mehr - worüber hätten Sie also berichten sollen, liebe Frau Ziegler? Sie machen es sich sehr einfach - und mich stellen Sie als »emotionalen« Briefeschreiber hin ohne den Grund meiner Erregung zu erwähnen. »Aussitzen« nennt man diese Verhaltensweise in der Politik. Von einem kirchlichen Organ erwarte ich eine mutigere Haltung. Drucken Sie unseren Schriftverkehr ab oder beleuchten Sie wenigstens die Hintergründe!
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Felder

 

 

25.10.10 Thomas Felder an den Landesbischof:

Sehr geehrter, viel zu lieber Herr Dr. July,
mein Freund Dr. Bernd-Wilfried Kießler hat mich gebeten seinen unten stehenden Brief an Sie weiterzuleiten. Vor Wochen schon fragte er wie viele andere, die meinen Briefwechsel mit Ihnen verfolgt haben, ob nicht ein gemeinsamer Kirchenaustritt die einzig richtige Antwort auf Ihre traurige Haltung in Sachen Stuttgart21 wäre. Jetzt ist er den Schritt alleine vorausgegangen; er tat es gewiss nicht leichtfertig.
Ich für meinen Teil bleibe Protestant und glaube an Wunder. Z.B., dass Sie noch aufwachen; oder, dass Sie dem Beispiel von Margot Käßmann folgen und Ihr Amt zur Verfügung stellen. Frau Käßmann saß ein paar Minuten alkoholisiert am Steuer, Sie aber haben Monate auf Ihrem Bischofssitz verschlafen! Seit Jahresbeginn mache ich Sie mit vielen anderen auf die gefährliche Entwicklung in Stuttgart aufmerksam, und Sie erklären gegenüber der Zeitung, die Vorfälle am »Schwarzen Donnerstag« haben Sie erschreckt, überrascht und bewegt. Nichts davon kann ich glauben, solange Sie letzteres nicht wenigstens nachträglich tun: sich bewegen (lassen).
Sie sagen, die Regierung dürfe die Proteste nicht aussitzen. Aber genau das machen Sie selbst der Regierung vor, indem Sie die angeblich kostenlose S21-Werbung Ihrer Kirchenrätin im Diakonievorstand decken, dem logisch und absehbar sich anbahnenden Staatsterror tatenlos zuschauen, den Lügen des Innenministers zumindest indirekt das Wort reden: »Ich habe gehört, es gab Gewalt gegen Polizei. Das ist nicht zu akzeptieren«... Vor Ihrer Haustür liegt die Menschenwürde von Stiefeln zertreten, und Sie ermahnen beide Seiten zur Gewaltlosigkeit! Wo haben Sie Ihre Augen und Ohren? Wo Ihr Herz? Als Augen-Zeuge sende ich Ihnen beiliegenden Bericht.
Viele Amtsinhaber müssen zurücktreten. Jeden und jede, der/die es aus freier Einsicht rechtzeitig tut, begrüße ich
voller Hochachtung und Respekt.
Thomas Felder
__________________

Betreff: Kirchenaustritt (Bitte an den Landesbischof weiterleiten! Danke.)

Herr July,
ich bin in der schönen Stadt Torgau aufgewachsen, die Luther „die Amme der Reformation“ genannt und die er oft besucht hat. Seine Witwe Katharina von Bora liegt in der dortigen Stadtkirche begraben, Johann Walter, der Begründer der evangelischen Kirchenmusik, hat hier gewirkt. In eben jener Johann-Walter-Kantorei habe ich gesungen, später evangelische Theologie studiert und in der evangelischen Publizistik gearbeitet. Als BRD-Bürger habe ich meine Kinder noch zu DDR-Zeiten in Torgau taufen lassen, was die Stasi damals beträchtlich irritiert hat. Am 22. Oktober d. J. bin ich auf dem Echterdinger Standesamt gegen eine Verwaltungsgebühr von 30 Euro aus der Evangelischen Landeskirche in Württemberg ausgetreten.
Ein Mensch mit solchem Lebenslauf kehrt der Kirche nicht leichtfertig den Rücken. Spätestens seit Ihrer scheinheiligen Aufforderung zur Gewaltlosigkeit nach dem Schwarzen Donnerstag an beide Seiten kann ich mich aber Ihren Hilfstruppen eines gottverdammten Lü-gen-packs (eine Lügenliste ohne Anspruch auf Vollständigkeit lasse ich Ihnen auf Wunsch gern zugehen) nicht mehr zugehörig fühlen. Da war nur eine Seite, von der Gewalt ausgegangen ist und die friedlich demonstrierende Bürger aller Altersstufen und Einkommensschichten – von Kindern bis zu Rentnern hat zusammenknüppeln und mit chemisch versetzten Flüssigkeiten hat beschießen lassen. Wer da heuchlerisch seine Hände in Unschuld wäscht, handelt nicht christlich, so wenig wie der, der taten- und wortlos zusieht, wie denkmalgeschützte Gebäude zerstört und jahrhundertealte Parkanlagen verwüstet werden – einzig um des schnöden Mammons willen. Vor dem Frieden in der Stadt und dem Schutz von Gottes Schöpfung, die uns Menschen anvertraut ist, verschließen Sie offensichtlich beide Augen.
Stuttgart 21 wird scheitern, und ich wage die Prophezeiung, dass es von Ihnen am Jüngsten Tag heißen wird: Gewogen und zu leicht befunden.
gez. Bernd-Wilfried Kießler

Weitere Stellungnahmen: Stuttgart 21 – Christen sagen Nein!